Die Entwicklung des Theatervereines (1920 – 1938)
Zur Frage des Gründungsdatums
Die Gründungsväter aus den 20er JahrenDer Feder des Gründungsobmannes Franz Klug in der Festschrift zum 33-jährigen Bestand des Theatervereines aus dem Jahre 1953 sind drei mögliche Gründungsdaten für den Theaterverein Kirchberg am Wagram zu entnehmen. Erstens die faktische Vereinsgründung am 26. November 1920 durch die Erstaufführung von Nestroys „Lumpazi Vagabundus“, zweitens offenbar kurz danach (im Dezember 1920) die formelle Gründung eines „Theaterklubs“ mit Vorstand und drittens Ende 1922 die formelle Gründung eines „Theatervereines“ ebenfalls mit gewähltem Vorstand. Damit aber nicht genug: Am 6. Mai 1965 beantragte Herr Otto Wodiczka, damals Obmann des „Theatervereines“, als Proponent und Zustellungsbevollmächtigter in einem Schreiben an die Bezirkshauptmannschaft Tulln die Genehmigung zur Gründung eines „Theatervereines in Kirchberg am Wagram“, der ja eigentlich schon (seit 1920) bestand. Wie ist das zu erklären? Sowohl die formellen Gründungen des „Theaterklubs“ (1920) als auch jene des „Theatervereines“ (1922) erfolgten offenbar in Anlehnung an Musterstatuten für Theatervereine und wurden nur der Marktgemeinde Kirchberg am Wagram angezeigt, nicht aber der dafür zuständigen Bezirkshauptmannschaft Tulln. Der Verein bestand daher nur „de facto“ seit 1920, nicht aber „de iure“. Daher konnten vom Verfasser dieser Zeilen keine Vereinsdokumente aus den Jahren 1920/1922 im Nö Landesarchiv (Außenstelle Bad Pirawarth) gefunden werden. Offenbar wurde 1965 dieser rechtlich problematische Zustand erkannt und die Vereinsgründung vom damaligen „de facto“-Obmann Otto Wodiczka „de iure“ nachvollzogen. Das ändert freilich nichts am 90-jährigen Bestand des Vereines, dem man mit 26. November 1920, der faktischen Gründung durch die Erstaufführung des „Lumpazi Vagabundus“, ein fixes Gründungsdatum geben kann.
Das Vereinsgeschehen
Lumpacivagabundus 1920Im Laufe des Jahres 1920 bildete sich auf Anregung des Kirchberger Zahnarztes Dr. Hans Flasathy eine kleine Gruppe theaterbegeisterter Bürger, der neben Dr. Flasathy Franz Klug, Hans Rittler, Alois und Karl Schiel sowie Eduard Steininger angehörten. Es wurde die Aufführung von Nestroys „Lumpazi Vagabundus“ geplant. Rasch wurden Mitwirkende gefunden, Alois Schiel stellte seinen Kinosaal zur Verfügung, Dr. Flasathy übernahm die Regie (Spielleitung) und Franz Klug die Gestaltung des Bühnenbildes. Die Erstaufführung am 26. November 1920 wurde ein so großer Erfolg, dass das Stück – vor insgesamt etwa 2.000 Besuchern – fünfmal wiederholt werden musste.
Bald darauf, wahrscheinlich im Dezember 1920, bildete sich auf Anregung von Franz Klug aus den Mitwirkenden dieses Stückes der schon erwähnte „Theaterklub Kirchberg am Wagram“, wobei als Obmann Franz Klug, als Spielleiter Dr. Hans Flasathy, als „Schreiber“ (Schriftführer) Hans Fiegl und als Kassier Karl Schiel gewählt wurden. Durch den großen Erfolg des „Lumpazi Vagabundus“ und das hohe Interesse an den Stücken der nachfolgenden Jahre stieg die Mitgliederzahl des „Theaterklubs“ auf über 30, wodurch dessen Umwandlung in den „Theaterverein Kirchberg am Wagram“ notwendig wurde, für dessen Gründung aber – wie schon dargestellt – nicht bei der zuständigen Bezirkshauptmannschaft Tulln um Bewilligung (durch einen sicherheitspolizeilichen „Nichtuntersagungsbescheid“) angezeigt wurde. Der erste („de-dacto“) Vorstand des neuen Vereines setzte sich wie folgt zusammen: Obmann: Franz Klug, Obmann-Stellvertreter: Dr. jur. Heinrich Kittl, Spielleiter: Rudolf Gläser, Schreiber: Hans Fiegl, Kassier: Karl Schiel und Sachwart: Alois Kohlheimer (damals auch Vizebürgermeister). Aus dem „Rückblick über die Vereinstätigkeit“ von Hans Rittler anlässlich des 10-jährigen Vereinsbestandes im Jahre 1930 wissen wir etwas über die geltenden Vereinsstatuten. Rudolf Gläser und
Hans RittlerDort heißt es: „Der Verein ist außer der statutengemäßen Arier-Paragrafen völlig unpolitisch und hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Geschmacke des Publikums und der schauspielerisch und technischen Möglichkeit angemessen, Stücke vaterländischer Schriftsteller aufzuführen. Außerdem Geselligkeit in jeder Form zu pflegen.“ Aus diesem Rückblick Hans Rittlers wissen wir auch etwas über die Finanzgebarung, das Vereinsvermögen, über gesellige Veranstaltungen und soziale Aktivitäten des Vereines vor 1930. So kostete um 1930 eine Aufführung ca. 700 Schilling und das Vereinsvermögen (Noten, Musikinstrumente, Bühneneinrichtungen) betrug ca. 2.000 Schilling, was dem damaligen Jahresgehalt eines Beamten entsprach. Hans Rittler berichtet auch von sommerlichen Ausflügen nach Dürnstein, Kronsegg und auf die Rosenburg, von winterlichen Besuchen des Burgtheaters in Wien sowie von einem Vereinskränzchen (1924), von Maskenbällen (1925 und 1926), von einem Dirndlball (1927) und von Silvesterfeiern (1927 und 1928). Detailliert wird die Verwendung von Spenden angeführt, darunter 50 Schilling für Bedürftige des Ruhrgebietes und 115 Schilling für je 60 kg Kohle für 27 Bedürftige in Kirchberg am Wagram.
Franz Klug, der auch die Bühnenbilder malte, führte den Verein als Obmann bis 1938, als der Spielbetrieb wahrscheinlich aus politisch-ideologischen Gründen eingestellt wurde, denn der altösterreichische Charakter der Aufführungen (österreichische Volksstücke, Operetten) vertrug sich offenbar nicht mit der „heroischneogermanischen“ Kulturausrichtung der Nationalsozialisten; Franz Klug standen als Spielleiter Dr. H. Flasathy (1920), Rudolf Gläser (1920–26), Hans Rittler (1927–36) und Werner Kern (1937–38) zur Seite.
Der Kinosaal 1920 – 1937
Kinosaal 1920 - 1937Im Gelände der einstigen Schießstätte errichtete die Gemeinde in den 1890er Jahren ein Schwimmbad mit einem Betonbecken von 20 x 10m, 20 Umkleidekabinen, einer Umwälzund Filteranlage und hiezu auf dem Roßplatz einen Windbrunnen mit einer Vorwärm-Bassena.
Der im Müllergraben beheimatete Gastwirt Alois Schiel pachtete diese Fläche für 30 Jahre, brach das verfallene Bad ab und errichtete 1920 über einem meterhohen Mauersockel mit dem Material einer in Moosbierbaum abgebrochenen Rüstungsbaracke einen sehr zweckmäßigen Kinound Theatersaal.
Die große Projektionsfläche war durch eine Bühne von 90 Quadratmeter und davor durch einen versenkten Orchesterraum etwa 12 m von der 1. Zuschauerreihe entfernt. Unter der Bühne waren Umkleidekabine und Requisitendepot. Den 300 Sessel fassenden Zuschauerraum beendeten hinten ein Balkon und zwei Logen. Darüber befand sich der Operateurraum und davor noch Kassa, Büffet und Toiletten.
Der 10m hohe Holzsaal hatte eine gute Akustik und sah großartige Operettenaufführungen, Silvesterabende mit Schauturnen, Klapphornversen und Sepp Rittlers heiteren Vorträgen sowie glanzvolle Maskenund Kostümbälle des Theatervereins, bis er an einem Mittwoch Nachmittag im Oktober 1952 vollständig nieder brannte infolge eines Schadens an einem Ofenrohr.
Der Saal sollte für ein Abendkino vorgewärmt werden und war leer und ohne Aufsicht. Als der Brand bemerkt wurde, stand der Holzbau schon in hellen Flammen und alle Löschversuche der Feuerwehren blieben vergeblich.
Seither fehlt der Kulturarbeit in Kirchberg dieser Rahmen.