Kirchberg am Wagram in der Zwischenkriegszeit
(1920 – 1938)

Nach dem verlustreichen Ersten Weltkrieg (1914 –1918), der in der heutigen Großgemeinde Kirchberg am Wagram 134 Männern das Leben kostete, hat der zentrale Ort Kirchberg eine überraschend positive Entwicklung genommen, besonders unter dem Lehrer Karl Höflinger, der 1919–1922 als Bürgermeister der Gemeinde vorstand.
Denn erstens übernahm die Erste Republik die Verwaltungsstrukturen der Monarchie auf Bezirksebene und daher konnte Kirchberg seine für das Geschäftsleben wichtige Funktion als Sitz eines Bezirksgerichtes mit Notariat behaupten, zweitens trafen die Wirtschaftskrisen der Zwischenkriegszeit den agrarisch bestimmten Raum Kirchberg lange nicht so stark wie Wien und die städtischen Gebiete des Landes und drittens bewirkten die Initiativen beherzter Bürger zahlreiche Neugründungen im wirtschaftlichen, schulischen und kulturellen Bereich.
So wurde schon 1918 die „Sparund Vorschußkassa“ (Volksbank) gegründet, wurde der Ort 1921 elektrifiziert, wurde durch den neuen Sitz der Bezirksbauernkammer seit 1922 der zentrale Ort Kirchberg aufgewertet und 1927 die Lagerhausfiliale NeustiftKirchberg am Wagram errichtet. Im schulischen Bereich ist vor allem die Gründung der Bürgerschule (Hauptschule) im Jahre 1920 hervorzuheben, die mit ihrem Einzugsbereich ebenfalls das Zentrum Kirchberg stärkte. Nach 1923 fanden in Kirchberg „Landwirtschaftliche Winterkurse“ (zur Fortbildung der jungen Landwirte) statt und seit 1925 bestand in Kirchberg auch eine Gewerbliche Berufsschule. Ein Meilenstein in der Kulturgeschichte Kirchbergs am Wagram war 1920 die Gründung des Theatervereines, auf die im Folgenden noch näher eingegangen wird.
Diese insgesamt positive Entwicklung in einer wirtschaftlichen Krisenzeit wurde aber durch die politischen Gegensätze getrübt, die sich durch gewalttätige Auseinandersetzungen (Justizpalastbrand 1927, Bürgerkrieg und Ermordung des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß 1934) radikalisierten. In der „Demokratischen Periode“ der Ersten Republik (1918 – 1933) hielten sich die rechtsgerichteten Kräfte (Christlich-Soziale, Deutschnationale-Großdeutsche, Heimwehr) mit den linksgerichteten (Sozialdemokraten) etwa die Waage, ehe durch den Staatsstreich von Bundeskanzler Dr. Dollfuß im Jahre 1933 die „Autoritäre Periode“ begann; die Sozialdemokratie verboten und die rechtsgerichteten Kräfte in der „Vaterländischen Front“ zusammengefasst. Im März 1938 fand die „Autoritäre Periode“ durch den „Anschluss“, den Einmarsch deutscher Truppen mit anschließender gelenkter „Volksabstimmung“, ihr Ende und es begann die Diktatur des Nationalsozialismus bis 1945. Der Nationalsozialismus fand in Kirchberg schon sehr früh große Anhängerschaft. Schon 1933 beschloss der Kirchberger Gemeinderat die Ehrenbürgerschaft für Adolf Hitler, die aber von der Bezirkshauptmannschaft Tulln mit der Begründung abgelehnt wurde, dass Hitler kein österreichischer Staatsbürger sei (er war seit 1927 deutscher Staatsbürger). Als Hitler im Jahre 1939 im offenen Wagen durch Kirchberg fuhr, kannte der Jubel keine Grenzen, der aber schon sehr bald im Zweiten Weltkrieg (1939 –1945) angesichts der vielen Opfer (254 Gefallene in der heutigen Gemeinde Kirchberg), von Zwangsablieferungen, Rationierungen sowie der Verfolgung von Juden und Oppositionellen bitterer Enttäuschung wich.